Vom „Fintan-Land“ ins „Biber-Land“

20. August 2016

Ein sehr positives Echo erntete die Exkursion des WWF Schaffhausen am 20. August 2016. 30 Teilnehmende folgten der begeisternden Führung von Landwirtschaftspionier Martin Ott durch das biologisch-dynamische Landwirtschaftsgut der Stiftung Fintan in Rheinau. Die anschliessende Wanderung unter der Leitung von Kurt Gehring-Späni führte in eine vom Biber geschaffene Traumlandschaft am Mederbach bei Marthalen.

Das hätte sich der irische Mönch Fintan wohl nicht träumen lassen, als er sich vor über tausend Jahren in Rheinau niederliess. Seit 1998 trägt eine nach ihm benannte Stiftung zukunftsweisende ökologische Projekte, die erfolgreich zeigen, dass es auch anders geht als mit konventioneller Landwirtschaft: Mit der Natur im Einklang leben, aus dem Boden nicht mehr herausholen, als dieser ohne Schaden hergibt, Tiere in würdigem Rahmen halten, die Kreisläufe und Sinnzusammenhänge beachten und erforschen, in die uns die Natur und die Menschlichkeit führen.

Aus Widerstand wird Wertschätzung

Martin Ott als eine der innovativen Kräfte und seine Mitinitianten hatten es nicht leicht, als ihre Stiftung vor 18 Jahren die Pacht eines der grössten und schönsten Bauernbetriebe im Kanton Zürich zugesprochen bekamen. Der anfänglich zum Teil erbitterte Widerstand von Weinländer Bauern ist mittlerweile aber hoher Akzeptanz, ja sogar Wertschätzung gewichen. Das kombinierte Konzept von ökologischer Landwirtschaft und Sozialtherapie hat Erfolg. Unter dem Dach der Stiftung Fintan wurden nicht weniger als zwölf selbstständige Betriebe gegründet, in denen heute 110 Angestellte, 10 Lehrlinge und Praktikanten sowie 35 betreute Menschen arbeiten. Bis vor kurzem führte der gelernte Lehrer und Bauer Ott den Milchwirtschaftsbetrieb. Zudem war er Verwaltungsrat im expandierenden Saatgutbetrieb „Sativa“ und Mitbesitzer der Metzgerei „Hans&Wurst“. Ein Arbeitsschwergewicht bildet die Pflanzenzüchtung in natürlichem Umfeld, welche heute stark gefährdet ist durch verbreitete Hybridsamen und monopolisierte Saatgutproduktion. Der Umsatz der Stiftung und ihrer Betriebe liegt heute bei 15 Millionen Franken und der Kanton Zürich bekommt jedes Jahr 250‘000 Franken Pachtzins.

Die Kunst, den Boden zu entwickeln

„Bedingung zur Übernahme der Pacht war“, so Ott, „dass man uns 50 Jahre lang nicht dreinredet. Landwirtschaft ist die Kunst, den Boden zu entwickeln: Dieser wird durch vielfältigen Anbau besser, die Landschaft wird schöner, die Kühe werden gesünder – und die Menschen glücklicher! Die Erde wehrt sich gegen den Raubbau. Auf die Dauer lässt sich nicht mehr produzieren, als sie hergibt. Ein Mähdrescher arbeitet heute für 800 Leute. Eine naturnahe Landwirtschaft sucht nach den Besonderheiten des Standortes, nach ‚Hofindividualität’, und sie fördert Zwischenräume, in denen sich ein reiches Leben entwickeln kann.“

Offene Räume für Tiere und Pflanzen

Was Martin Ott unter dem Zauberwort „Zwischenräume“ versteht, zeigte er als Autor des bekannten Buches „Kühe verstehen“ gleich mit einem Sprung in den Freilaufstall. Da bestimmen die Kühe den von ihnen ausgehandelten Abstand. Das bedeutet Abbau von Spannungen und ermöglicht es den Tieren, in Würde ihre Hörner zu tragen, welche für die Kommunikation wichtig sind. In der „muttergestützten Kälberzucht“ dürfen die Kleinen noch an Mamas Euter „nuggelen“. Und alle tragen Namen. Wesensgerecht gehaltene Kühe produzieren zwar nicht so viel Milch wie Hochleistungstiere, sind aber gesünder und brauchen weder Kraftfutter noch Antibiotika.

Auch auf dem Feld sind Zwischenräume wichtig: Magerwiesen, Feldgehölze und gestaffelte Waldränder bieten Lebensrum für unzählige Kreaturen. Die biologisch-dynamische Saatgutvermehrung hilft mit, dass die Abhängigkeit der Bauern von wenigen grossen Konzernen nicht weiter zunimmt. In Rheinau werden deshalb zahlreiche Pflanzensorten „zurückgebaut“, was eigentlich „vorwärts“ bedeutet, hin zu mehr Resistenz und weniger Klimaabhängigkeit.

Landschaftsarchitekt Biber

Nach einem Picknick besuchten die Exkursionsteilnehmenden im Niderholz bei Marthalen noch den grössten – ziemlich verborgenen – vom Biber gestauten See der Schweiz. Der Biber ist das grösste Nagetier Europas und war Ende des 19. Jahrhunderts praktisch ausgerottet wegen seines Pelzes, des Fleisches und des sogenannten „Bibergeils“, eines Duftstoffes und angeblichen Wundermittels. Heute breitet sich diese nicht jagdbare Tierart fast rasant wieder aus. Seit 2008 haben die cleveren Nager den Wald am Mederbach weitgehend umgekrempelt. Angestammte Bäume (Eichen, Buchen usw.) sterben im Wasser ab, wasserliebende Pflanzen kommen auf. Nutzungskonflikte sind nicht ausgeschlossen. Die Verantwortlichen handelten aber vorbildlich: Kanton, Gemeinde, Förster, Jäger und Naturschützer sowie die Organisation „Hallo Biber, Ostschweiz“ spannten zusammen und die auch an Mittelspechten reiche „Traumlandschaft“ wurde vorerst für 50 Jahre unter Schutz gestellt. Und das wohl nicht nur für die begeistert heimkehrgekehrten Naturfreunde. 

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