Was ist Glück?

Weniger ist oft mehr.

Ökotipp vom 21. Dezember 2010 von Barbara Gehring
Geschäftsführerin WWF Schaffhausen 

Es hat geschneit. Die Welt ist verzaubert. Der Garten glitzert. Still ist es. Ich höre den Winter atmen. Langsam, behutsam werden die Schatten länger, der Himmel ist watteweiss und zitronengelb. Bald dunkelt es ein. Eine Kohlmeise holt sich noch einen Sonnenblumenkern vom Futterbrett. Ein Buchfink steht regungslos auf dem schneebedeckten Ast der Eibe. Dann fliegt er auf und nimmt mich mit in den Winterwald, den Märchenwald, den Kindheitswald. Es ist so, wie es mein Vater einst erzählt hat. „Du muss nur fest daran glauben, dann siehst du es.“ Ist dort nicht ein ferner Schein zu erkennen? Wenn ich genau hinschaue, sehe ich es. Das Christkind schneidet die Weihnachtsbäume. Ich war glücklich, als ich in Kinderjahren diesen geheimnisvollen Moment erleben konnte.
Was ist aus der Weihnachtszeit meiner Kindheit geworden? Die Welten in mir und erst recht die draussen haben sich stark verändert. Ich bin in den Sechzigerjahren aufgewachsen. Seither hat sich der Energieverbrauch verdreifacht. Sind wir auch drei Mal glücklicher als damals?
Alles ist hektischer. Computer, Handys und Autos machen uns zu mobilen und trotzdem jederzeit erreichbaren Menschen. Etwas tief drinnen im Menschen hat sich jedoch nicht verändert. Die Suche, die Sehnsucht nach dem Glück. Viele Philosophen haben sich mit dem Glück beschäftigt. Sie haben Glück definiert, es in Worte gefasst. Ich versuche es auch. Immer aufs Neue.
Hat Glück etwas mit Luxus zu tun? Bin ich glücklicher, wenn ich meinen Kaffee aus einem erlesenen Sortiment wählen kann? Verpackt in eine Aluminiumkapsel, deren  Herstellung massive Umweltschäden verursacht? Wie glücklich sind die Pflückerinnen und Pflücker, die den Kaffee für diese kostspieligen Kapseln ernten? Erhalten sie einen gerechten Lohn? Können ihre Kinder die Schule besuchen?
Zur Abrundung des Nachtessens mit unseren Gästen gibt es keinen Kaffee, sondern Tee aus Kräutern, die ich im Sommer gepflückt habe. Wie glücklich und zufrieden war ich damals, als ich ihren Zitronenduft einatmen konnte. Und nun verströmen die Kräuter diesen Duft nochmals. An diesem kalten Winterabend geben sie mir die Möglichkeit, mich auf den nächsten Sommer zu freuen. Auf Wildbienen, Schmetterlinge und all die Blumen, die nun unter einer dicken Schneedecke schlafen.
Als Kind hatte ich viele Wünsche. So sollten Nachbars Kaninchen, die immer unsere Küchenabfälle bekamen, ewig leben. Gut erinnere ich mich, wie ich mit den Tränen kämpfte und keinen Bissen herunterbrachte, als „Fleckli“ – und wie sie alle hiessen – als Kaninchenragout auf dem Mittagstisch standen. Damals lernte ich auch den Unterschied zwischen Glück und Trauer kennen. Und Liebe und Respekt gegenüber unseren Mitgeschöpfen. Es macht mich noch immer traurig und zudem wütend, wenn Tiere Konsumartikel und Mittel zur Profitmaximierung sind. Alle sollten den Tieren in die Augen sehen müssen, bevor sie deren Fleisch kaufen oder im Restaurant bestellen.
Kürzlich hat ein guter Freund und Hobbykoch mir ein Geheimnis verraten, seine eigene Currymischung. Meine Vorfreude beginnt bereits beim bereit stellen der Zutaten: Zimtstange, schwarzer Pfeffer, Curcuma, Curryblätter, Chili etc. Dann folgen abwägen der Zutaten und Zubereitung. Bald verbreitet sich ein magisches Aroma in der Küche. Wenn der Gemüsecurry in meinem Teller duftet, bin ich glücklich.
Auf dem Heimweg von der Abendsitzung beginnt es wieder zu schneien. Um diese Zeit ist niemand mehr zu Fuss unterwegs. Die Schneekristalle funkeln. Plötzlich streift etwas mein Ohr. Ist es eine Schneeflocke? Der Buchfink ist zurückgekommen. 

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